Eberhard Steneberg – Malerei im Kontext

Von Prof. Dr. Klaus Klemp

Wenn Künstler zum temporären Rollenwechsel neigen und selbst zu Kunsthistorikern und Künstlerbiographen werden, dann liegt gemeinhin ein besonderer Zeitumstand und eine Doppelbegabung vor. Schon bei dem als Vater der Kunstgeschichtsschreibung geltenden italienischen Architekten und Maler Giorgio Vasari (1511–1574) war das so, als er aus dem Lebensgefühl des Manierismus heraus die ‘Viten’ seiner Kollegen und Vorgänger aufschrieb. Die Spätphase der europäischen Renaissance war ob des bis dato angesammelten künstlerischen Materials zwangsläufig auch retrospektiv.

In unserem noch immer anhaltendem Zeitalter der Spezialisierung und der Spezialisten ist ein solches Tun nicht mehr selbstverständlich, ja manchen ist es sogar suspekt. Vor allem die Sechziger und Siebziger Jahre bildeten ein Expertendenken aus, das immer genauere Detailkenntnisse verlangte. Das hatte den Vorteil zunehmender Präzision, aber auch den Nachteil eines immer enger werdenden Blickwinkels, eines immer eingeschränkteren Horizonts. Was aber nutzt die Tiefe der Einzelerkenntnisse, wenn keinerlei Verbindung mehr zwischen diesen Wissensinseln besteht? Was auch, wenn Theorie und Praxis so sehr auseinanderfallen, daß die ehemalige Symbiose zum je eigengearteten Autismus wird?

Die jungen Künstler der Neunziger Jahre scheinen diese Sackgasse wieder verlassen zu wollen und zu einem Kunst- und Wissensbegriff zurückzukehren, der vielen älteren Künstlern noch selbstverständlich war. Kunst als Wissenschaft und Kunst als Forschung sind wieder ein Stück weit akzeptiert, wenn natürlich auch auf neuem Stand und mit weitgehend neuen Fragestellungen. Als der Künstler Eberhard Steneberg in den Fünfziger, Sechziger und Siebziger Jahren Kunst und Kunstgeschichten miteinander verband, hatte er einen schweren Stand. Krieg und Faschismus hinterließen eine entwurzelte kulturelle und zivilisatorische Situation, die den Blick nur noch nach vorne richten wollte und die sich auf jeden künstlerischen Trend warf, wenn er nur weit genug von der Erinnerung an Geschichte, vor allem an die jüngste Geschichte entfernt stand. Diesen ahistorischen Zeitraum der Fünfziger und Sechziger Jahre kontrastierte der Frankfurter Maler mit seiner Sicht auf eine wichtige Phase der frühen Moderne. Steneberg war Maler, aber auch fähiger Kunsthistoriker aus eigenem Antrieb. Seine 1969 im renommierten Gebr. Mann Verlag Berlin vorgelegte Monographie über die ‘Russische Kunst in Berlin 1919 - 1932’ ist alles andere als eine Gelegenheitsarbeit, sondern zeugt von detailliertem Wissen und stupender Kenntnis. Schon 1959 hatte er eine aufsehenerregende Ausstellung über die russische Avantgarde in der Städtischen Galerie im Karmeliterkloster in Frankfurt zusammengestellt.

Bedingt durch seine eigene biographische Konstellation – der Vater seiner Frau Halina war der russische Maler Wladimir von Zabotin - und bedingt auch durch die frühe eigene politische Disposition als ‘junger Linker’ in Weimar, kam Eberhard Steneberg zu einer Auseinandersetzung mit der geometrischen Kunst im allgemeinen und der Kunst der russischen Avantgarde der Zwanziger Jahre im besonderen. Zuvor schon bestanden bis 1933 Kontakte mit dem Bauhaus-Umfeld und von 1945 bis 1947 in Weimar ein informeller Unterricht durch den ehemaligen Bauhausmeister Joost Schmidt. Die Vorbereitungen für die Frankfurter Ausstellung ermöglichtem ihm Reisen zu den in Paris lebenden Künstlern der russischen Moderne. Steneberg besuchte Sonia Delaunay-Terk, Michael Larionov und seine Frau Nathalie Gontscharova, die beide seit 1909 den Rayonismus als frühe Form der geometrischen Abstraktion entwickelt hatten, Antoine Pevsner, Ossip Zadkine oder Paul Mansouroff. Zu vielen der Künstlerkollegen entwickelte Steneberg eine jahrelange Freundschaft.

Stalinismus und Nationalsozialismus hatten den konstruktivistisch-dekonstruktivistischen Tendenzen fast zeitgleich in Ost und West die Existenzmöglichkeit entzogen. Dass das Entwicklungspotential einer geometrischen Kunst um 1932/33 aber noch keineswegs abgeschlossen war, das zeigten nach der Springflut des Informel die amerikanischen und westeuropäischen Kunstäußerungen der Sechziger und Siebziger Jahre, etwa bei Robert Morris, Donald Judd oder Erwin Heerich, wenn sie auch ihren Ansatz zeitbedingt neu definierten. Eberhard Steneberg hingegen suchte seine eigene künstlerische Arbeit direkt an den ästhetischen Kenntnis- und Entwicklungsstand der frühen Dreißiger Jahre anzuschließen und von dort aus weiterzuentwickeln.

Die zeitgenössische Kunstkritik hat diesen methodischen Ansatz lange Zeit und in ihrer Mehrheit bis heute ignoriert oder nur dann akzeptiert, wenn Künstler wie Willi Baumeister, Walter Dexel oder Josef Albers altersbedingt schon vor 1933 praktiziert hatten. Diese Evaluation nach zeitlicher Epochenzugehörigkeit beruht auf einem kunsthistorischen Denken in Stilgeschichten, wie sie das 19. und frühe 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Ihre Gültigkeit stellt sich zunehmend in Frage. Damit auch könnten und müssten die Arbeiten von Eberhard Steneberg anders gesehen werden. Seine konstruktiven und der Geometrie verpflichteten Bilder sind weder epigonenhaft noch verspätet, sondern durch die besondere historische Situation bedingt.

Der Maler hat dabei mehr und mehr die poetische Seite konstruktiver Kunst aufgegriffen und weitergeführt, wie sie vor allem schon in Russland aber auch bei Mondrian (im Gegensatz zu Theo van Doesburg) vorhanden war. Sein Grundthema könnte dabei Überschneidung und Transparenz lauten, denn fast alle Bilder komponieren geometrische Formen in eine jeweils eigene Schichtung. In den so entstehenden Feldern und Feldüberschneidungen entwickelte Steneberg eine autonome Malerei von hoher Stringenz. Hier baute der Künstler vor allem auf Techniken von Lyonel Feininger auf, entwickelt jedoch einen eignen Duktus. Feininger hatte er noch kurz vor dessen Abreise ins Exil in Weimar kennengelernt.

Eberhard Steneberg entwickelte in seinen Bildern eine Sprache, die sich ganz auf die Tradition der Moderne der zwanziger Jahre bezog, auf Feininger, auf Kandinsky, auf Itten, Severini, auch auf Braque und Gris und nicht zuletzt auf den italienischen Futurismus. Und doch ist er keinem dieser genannten Künstler oder Bewegungen wirklich zuzuordnen. Die Bilder sind immer reflexiv und selbstbewusst, sie entwickeln ihre eigene Geschichte und sie erzählen ihre Geschichten aus Form, Fläche und Farbe. Eberhard Steneberg gelang eine gültige eigene Position, die es für viele noch erst zu entdecken gilt.

KK/1997

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