Eberhard Steneberg, ein emigré-Künstler in Frankfurt am Main.
Eine vernachlässigte Geschichte in den 1950er Jahre

von Dr. Inge Wierda (Kunsthistorikerin)

Forschend übersieht dein Blick
Eine großgemeßne Weite!
Hebe mich an deine Seite
Gib der Schwärmerei dies Glück!
Und in wollustvoller Ruh,
Sah der weitverschlagne Ritter
Durch das gläserne Gegitter,
Seines Mädgens Nachten zu.
– Excerpt from the poem An den Mond
by Johann Wolfgang von Goethe (1)

Während der Museumsnacht vom 23. April 2016 führte Dr. Michel Fleiter eine große Besuchergruppe durch die Ausstellung Schauplätze: Frankfurt in den 50er Jahren im Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt am Main. Aufmerksam lauschte das Publikum seinen Ausführungen über die belastete Geschichte ihrer Stadt. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war die heute boomende Metropole eine der am meisten zerstörten Städte Deutschlands. Unablässig von den Engländern und Amerikanern bombardiert, lagen zweiundfünfzig Prozent der Stadt in Schutt und Asche, waren unzählige Zivilisten (5500) ums Leben gekommen und hatte der Großteil der Bevölkerung die Stadt verlassen. Fünfundvierzig Prozent der Häuser existierten nicht mehr. Die Altstadt mit ihren exquisiten Empire-Häusern des frühen 19. Jahrhunderts war fast vollständig zerstört, nur entlang der Mainufer standen standen noch einige Exemplare. Von den mittelalterlichen Fachwerkhäusern überlebte einzig das Haus Wertheim. Für Jahrzehnte war Frankfurt am Main eine Baustelle mit großen Lücken. Die neuesten Entwicklungen ließen sie erneut zu einem Bauplatz werden, dessen Kräne die Skyline der Stadt beherrschen.

Die Frankfurter Stadtregierung nutzte den Nachkriegsbauboom der 1950er-Jahre, um lange angestrebte radikale Veränderungen durchzuführen. (2) Ungeachtet der Proteste der lokalen Bevölkerung, nahm sie sich das städtebauliche Modell ihrer amerikanischen Besatzer zum Vorbild, mit einer von Bürohäusern und Banken geprägten, gerasterten Innenstadt, deren breite und von Läden gesäumte Straßen den Autos ausreichend Platz boten. Rasch verdrängten große Warenhäuser die provisorischen Marktstände der Nachkriegszeit. Als 1946 der vom amerikanischen Militär genutzte Rhein-Main Flughafen erweitert wurde, ging der Stadt im Süden ein großflächiges Gebiet mit einer reizvollen grünen Parklandschaft verloren. 1948 übernahm Frankfurt die Leipziger Buchmesse aus Ostdeutschland und verhalf ihr zu neuer Blüte. (3) Ferner entschied sich die Stadt, die „fünf Punkte zu einer neuen Architektur“ des französisch-schweizerischen Architekten Le Corbusier in ihr Programm aufzunehmen, wodurch sie zu einem Paradies für moderne Architektur und Architekten wurde.

In den 1960er-Jahren wurde ihr die Nordweststadt angegliedert und zwischen den 1970er und 1990er-Jahren wuchsen nach amerikanischem Vorbild gestaltete Hochhäuser in den Himmel. Das Facelifting der Stadt war vollendet. Mit Vollgas und klarer Zielsetzung hatte sich Frankfurt aus der Asche erhoben und zur Metropole entwickelt, zum Mainhattan der Gegenwart, regiert von einem konsumorientierten und materialistischen Lebensstil, der von seinen kapitalistischen Besatzern importiert worden war. Heute gilt die Stadt als das finanzielle Herz Europas, aber auch als blühendes Zentrum der Künste.

Während der Führung in der Ausstellung des Instituts für Stadtgeschichte, das im ehemaligen Karmeliterkloster beheimatet ist, stellte ich fest, dass eine wichtige Geschichte aus dem Frankfurt der 1950er-Jahre nicht erzählt wurde. Es fehlte der Bericht über eine russische Kunstveranstaltung während der Adenauer-Ära, die tatsächlich in dieser Stadt stattgefunden hatte. Rückblickend auf die Zeit der deutschen Teilung sowie den Einfluss der amerikanischen Kultur und der antirussischen Politik auf die Stadt Frankfurt am Main und ganz Europa, ist diese Geschichte jedoch äußerst bemerkenswert, da sie von einer denkwürdigen kulturellen Einmischung in die Politik des Kalten Krieges handelt, die sich 1959 auf Initiative eines Frankfurter Bürgers ergab. Es war Eberhard Steneberg, ein Künstler und Schriftsteller, der damals den russischen Modernismus wiederaufleben ließ.

Als sich im Mai 1946 mit dem Amerika-Haus die Amerikanisierung der Frankfurter Kunstwelt vollzogen und diese Periode der Kunstgeschichte beim sowjetischen Regime an Bedeutung verloren hatte, organisierte Steneberg 1959 im Karmeliterkloster eine Ausstellung mit moderner russischer Kunst, um – wie er es treffend beschrieb – „die Geschichte der Moderne zu korrigieren“. (3) Mit dem Titel Beitrag der Russen zur Modernen Kunst lenkte er die Aufmerksamkeit auf die russischen Avantgarde und ihren Beitrag zur Moderne. Zu dieser Ausstellung erschien ein von Steneberg in eigener Verantwortung produzierter bemerkenswerter Katalog, von dem sich ein Exemplar in der Bibliothek des Städel Museums befindet – ein Juwel seiner Art. Steneberg hatte seinerzeit im Exil lebende Avantgardisten gebeten ihre Ansichten in nur einem Satz zu formulieren. So gelang es ihm auf wenigen Seiten, bis zum Kern der Sache durchzudringen.

Bei der Eröffnung war indes nicht zu übersehen, dass der Oberbürgermeister und andere Stadtbeamte fehlten; sie fürchteten politische Repressalien durch die Russen. Steneberg wurde bezichtigt, ein Kommunist zu sein und auch Bertolt Brechts Theatergruppe war nicht willkommen. „So war die Stimmung in jener Zeit“, erläuterte mir Hanna Lambrette, eine Bekannte von Steneberg, in einem Interview. Die Stadtoberen verstanden nicht, dass Stenebergs russische Avantgarde-Schau die erste Nachkriegsausstellung ihrer Art seit 1923 war. Dennoch wurde sie im Westen zu einem Vorbild, dem sehr rasch und bis in die heutige Zeit hinein weitere Ausstellungen zu diesem Thema folgten.

2016, zwanzig Jahre nach Stenebergs Tod und im Kontext der Ausstellung Schauplätze: Frankfurt in den 50er Jahren, ist es an der Zeit, von diesem Kunstereignis zu berichten und von jenem Mann, der es ermöglichte. Was geschah tatsächlich? Wer war Steneberg?

Der Blick eines Flüchtlings
1951 kam Eberhard Steneberg mit seiner Familie aus dem Osten nach Frankfurt am Main. Von den unter Adenauer erfolgenden politischen Verschiebungen in Deutschland und der erstickenden Atmosphäre im Nachkriegs-Weimar verfolgt, hatte er 1947 seine Heimatstadt verlassen, kurz darauf seine Frau kennengelernt und entschieden, seine künstlerischen Ziele fortan in Frankfurt zu verfolgen. Die Stenebergs fühlten sich von der liberalen Atmosphäre dieser Stadt angezogen, von ihrem Bemühen um Demokratie und Freiheit. Doch die Nachkriegszeit war schwierig, und trotz guter Absichten gelang es der Stadt nicht, die vielen Heimkehrer- und ostdeutschen Flüchtlinge unterzubringen; allein das Bundesland Hessen zählte 750.000 Obdachlose. Daher baute Steneberg für sich und seine Familie einen Speicher an in Sachsenhausen, wo sie fünfzehn Jahre lang auf engem Raum lebten und arbeiteten. Doch obwohl -wie bei Vincent van Gogh, dem von ihm bewunderten holländischen Künstler -, die materiellen Umstände hart waren und er und seine Familie arm, gab Steneberg sein künstlerisches Schaffen nicht auf.

Im Folgenden sollen drei abstrakte Gemälde untersucht werden, die der Künstler in den 1950er-Jahren in Frankfurt schuf.

Blick in die Stadt

Eberhard Steneberg: Blick in die Stadt, 1953

Steneberg hatte bereits vor seiner Ankunft in Frankfurt den Weg zur Abstraktion gefunden. Dafür habe es, so der Künstler, keinen bestimmten inspirierenden Moment gegeben. Er hatte zwar Bauhaus-Ausstellungen gesehen und in der Zeit der sogenannten "Entarteten Kunst" Lyonel Feininger kennengelernt, jedoch bis 1950 in einem figurativen Stil gearbeitet. Entscheidend für den Stilwechsel war die Begegnung mit Fritz Henning, den er in der Nachkriegszeit kennenlernte. Henning verstand Stenebergs Gemütsverfassung und regte ihn dazu an, seinen Horizont von der wahrgenommenen Welt auf das zu verlagern, was sich dahinter verbirgt. Die abstrakte Kunst befreite die Künstler von politischen, religiösen, ideologischen und gesellschaftlichen Konnotationen sowie den damit einhergehenden Urteilen. Dieser transformative Prozess vom Figurativen zum Abstrakten wirkte sich befreiend auf Steneberg und seine Kunst aus. In einer von Konflikten zerrissenen Welt bot ihm die abstrakte Kunst eine Nische, gleichzeitig verband sie ihn mit der frühen modernen Kunstszene, der jedoch von den faschistischen Regimes in Deutschland und Russland ein jähes Ende bereitet worden war. Auch seine eigene künstlerische Entwicklung hatte sich zwischen 1933 und 1945 kompliziert gestaltet. Er gehörte zur sogenannten verschollenen Generation. Um seine künstlerische Ausbildung verfolgen zu können, aber auch, um dem Wehrdienst zu entgehen, war er in den 1930er-Jahren zu einem Pendlerleben gezwungen, das ihn von einem Ort zum anderen führte. Nach dem 2. Weltkrieg, gehörte Steneberg zur zweiten Generation der Moderne. Als neugieriger Intellektueller wollte er die Kunst der ersten Generation deutscher, russischer und französischer Modernisten erforschen und wieder aufleben lassen. Er spürte, dass die deutsche Nachkriegsgeneration mit den Werken dieser Künstler bekanntgemacht werden sollte, dass man dieser Kunst eine Stimme geben musste.

Stenebergs verarbeitete seine Eindrücke von der neuen Heimat in Blick in die Stadt (1953, siehe oben). In diesem frühen und recht großen abstrakten Kunstwerk finden sich noch mehrere direkte Hinweise auf eine traditionelle Stadtlandschaft und Stenebergs kulturellen Hintergrund. So setzt sich die Stadt in diesem Ölgemälde aus einem Agglomerat kleinerer Farbfelder zusammen, die vor einem dunkel olivgrünen Hintergrund mit größeren ockerfarbenen, grünen, braunen Farbflächen erscheinen. Die runde Form des oberen grünen Teils gleicht der Silhouette des Taunus, jenes Gebirges, das die Stadt umgibt und ihr ihren magischen Reiz verleiht. Der untere Teil des Bilds ist in dem bräunlichen Ton der Erde ausgeführt.

Ein aus schwarzen Linien gebildetes Rechteck markiert das Zentrum der Stadt. Ein dahinter erscheinendes glühendes Orange scheint das Herz der Stadt anzudeuten. Es leuchtet wie Feuer und erinnert vielleicht an die Bombardierungen Frankfurts, gleichzeitig ähnelt es einem schlagenden Herzen. Trotz der schweren Kriegsschäden ging das Leben in der Stadt weiter und der Geist der Frankfurter Einwohner schien ungebrochen. Sie konzentrierten sich auf den Wiederaufbau und schufen mit vereinten Kräften das, was als Wirtschaftswunder bekannt wurde. Das Bild einer kleinen blassen Sonne oder eines kleinen blassen Mondes im oberen Bereich der Darstellung wirkt wie ein auf die Stadt gerichtetes Auge. Es verleiht Stenebergs Blick in die Stadt seine geheimnisvolle Faszination. Man meint die Stadt aus der Vogelperspektive zu betrachten, was mich an das Gedicht An den Mond von Stenebergs Lieblingsdichter Johann Wolfgang von Goethe erinnert und an die Kosmischen Landschaften (1917–19) von Paul Klee. (4) Beide Männer gehörten zur Geschichte Weimars, Stenebergs Geburtsort, und waren ihm daher bekannt; Goethe hatte dort seine letzten Lebensjahre verbracht und Klee am Weimarer Bauhaus gelehrt. Der ostdeutsche Immigrant muss ein freudiges Gefühl der Heimkehr verspürt haben, als er sah, dass es auch in Frankfurt am Main ein Goethehaus gab. Es wurde erst nach seiner Ankunft im Jahre 1951 restauriert. Das Sonne-Mond-Motiv findet sich in jedem einzelnen Oeuvre dieser drei begabten Weimarer, doch Goethe hatte mit seinen Beobachtungen, Zeichnungen und Mondgedichten den Ton gesetzt.

Links: Eberhard Steneberg: Rotunde, 1958
Rechts: Rotunde/Funkhausam Dornbusch, Frankfurt am Main, 2016

Rotunde
Eberhard Steneberg kannte sich gut im gesellschaftspolitischen und kulturellen Geschehen seines neuen Wohnorts aus. Fünf Jahre nach dem Blick in die Stadt malte er ein weiteres großes Ölgemälde mit Frankfurter Thema, dem er den Titel 'Rotunde' gab. In einem anderen Stil ausgeführt, bezieht es sich auf einen der bedeutendsten Frankfurter Nachkriegsschauplätze: die neu errichtete Rotunde des Architekten Gerhard Weber in der Bertramstraße 8, heute ein Teil des Hessischen Rundfunks. Ursprünglich sollte der 1948 von der Stadt in Auftrag gegebene Erweiterungsbau der Pädagogischen Akademie das Parlament der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland beherbergen. Am 10. November 1949 wurde jedoch beschlossen, dass die Regierung ihren Sitz nicht in Frankfurt am Main haben würde, wo 1848 die deutsche Demokratie ihren Anfang nahm, sondern in dem provinziellen Bonn. (5) Diese Entscheidung ging Hand in Hand mit den politischen und religiösen Vorlieben der damaligen Politiker: protestantische SPD-Politiker gegen den katholischen CDU-Politiker Konrad Adenauer.

Der Unterschied zum Blick in die Stadt ist offensichtlich. Die Rotunde zeigt eine Abkehr Stenebergs von der etwas dunklen "kubistischen" Farbauswahl und seine Hinwendung zu der hellen Palette des Orphismus. Doch warum verwendete er einen anderen Stil? Hinweise darauf gibt ein von Steneberg verfasster Artikel über den Gründer des Orphismus, Robert Delaunay. (6) Steneberg hielt Delaunay für einen der bedeutendsten Väter der modernen abstrakten Kunst. Fasziniert von seiner Beschreibung des Orphismus als „un langage lumineux (cortège d'Orphée)“, erläuterte er, dass die Kunst orpheisch sei, mächtig wie die Musik des Orpheus, und sich in diesem Sinne über die Wissenschaft erhebe. Weiter sagte er, dass die Kunst aufgrund ihrer Fähigkeit, das Wesen der Natur zu enthüllen, „orphistisch“ oder mystisch sei. Wissenschaftler benutzten das physische Auge, um die Geheimnisse der Natur zu analysieren, doch das „geistige Auge“, so behauptete Steneberg mit Goethe und Gaust, verarbeite intuitiv die empfangenen Eindrücke und reproduziere künstlerisch den Gehalt des Ganzen. Mit anderen Worten, Orphisten interessieren sich für das Wesen der Natur, für ihre nicht-physische, mystische und ewige Dimension. Gleich Delaunay baute Steneberg seine Rotunde aus Farben auf. Keine Farbe besteht in der Isolation, jede sollte gleichzeitig wahrgenommen werden, als Kontrast zu anderen Farben sowie in einer Wechselbeziehung und im Einklang mit ihnen. Gemeinsam vollführen sie den dynamischen und bunten Tanz des Lebens.

Links: Paulskirche, Frankfurt am Main, 2016
Mitte: Rotunde, 1948 / Funkhaus, Frankfurt am Main, since 1951
Rechts: Robert Delaunay, Sun and Moon, 1913

In Stenebergs Rotunde wiederholen sich an mehreren Stellen kreisförmige Farbflächen. Die Stadt Frankfurt hatte als Grundkonzept für die Gebäude mit historischer Bedeutung ebenfalls die perfekte Form des Kreises gewählt. Es war ein Versuch, die Nation auf der Grundlage demokratischer Wertvorstellungen zu vereinen. Die 1948 in Auftrag gegebene Rotunde von Gerhard Weber erinnert an den Zentralbau der Paulskirche. In dieser "Kirche" war ein Jahrhundert zuvor der erste Versuch zur Bildung einer demokratischen Gesellschaft unternommen worden. Sie war auch das erste Gebäude, das nach den Verwüstungen des Krieges wiederaufgebaut wurde. Es sollte ein neuer Anfang gemacht werden. „Nie wieder Krieg“, skandierten die Jugendlichen in einem Protestmarsch in Frankfurt 1957 und „Frankfurt Stadt für Alle“ riefen die Bewohner 2016.

Ab 1951 war die Rotunde der Stolz des Frankfurter Funkhauses Dornbusch. Sie vereinte die Menschen, nicht politisch, sondern in orphischen Ereignissen, etwa in Konzerten, Vorträgen und anderen Veranstaltungen. Da ihr Rohbau schon vor 1950 errichtet wurde, fehlt in der aktuellen Ausstellung im Institut für Stadtgeschichte ein Foto davon. Steneberg rückte die Rotunde in den Vordergrund, als ein Symbol der Stadt Frankfurt am Main in den späten 1940er und 1950er-Jahren, das die Menschen in demokratischen Idealen und kulturellen Veranstaltungen vereinen sollte.

Ohne Titel [Rus], 1959

1959
Das dritte und letzte Ölgemälde zeigt, dass Steneberg 1959, dem Jahr der russischen Ausstellung, erneut seinen Malstil änderte. Seine modernen roten, schwarzen und blauen geometrischen Formen und den neutralen Hintergrund kennt man von berühmten Kunstwerken russischer Modernisten wie Kazimir Malewitsch. Obwohl Steneberg diese Künstler bewunderte, verzichtete er in seinem eigenen Oeuvre auf eine kalte Abstraktion. Während seiner gesamten Laufbahn vermied er den Gebrauch von technischen Zeicheninstrumenten wie Kompass, Lineal und Geometriedreieck. Er blieb ein Handwerker, der Pinsel und Ölfarbe benutzte. Obwohl er die streng geometrische abstrakte Kunst der russischen Konstruktivisten und Produktivisten, der niederländischen De Stijl-Künstler oder des ungarischen Bauhäuslers Maholy-Nagy bewunderte, fühlte er sich dennoch stärker der frühen deutschen Moderne (Bauhaus) verbunden. Im Gegensatz zu dieser ersten Generation von Modernisten widmete sich Steneberg der Malerei und verwarf die utilitaristische Funktion der Kunst. Ähnlich wie Malewitsch war Eberhard Steneberg ein Intellektueller, der gern nachdachte und schrieb, ein Farbmagier und ein moderner Künstler des 20. Jahrhunderts. Er genoss die Gesellschaft der nach Paris emigrierten russischen Künstler, von denen einige, beispielsweise Natalya Goncharova, Michail Larionow, Sonia Delaunay oder Pavel Mansurov, berühmt geworden waren.

Steneberg starb 1996 in Frankfurt am Main. Er war weder Kommunist, Konstruktivist, Kapitalist oder Konsument und er hatte sich auch nicht einer bestimmten Gruppe angeschlossen. Er war ein modernistischer Maler des 20. Jahrhunderts pur sang. Seine Künstlergeneration hatte in vielerlei Hinsicht schwierige politische, sozioökonomische und kulturelle Umstände durchlebt, doch mit Blick auf Goethe und Klee, erinnerten ihn Sonne und Mond an unsere Existenz in einem riesigen Kosmos. 1993, als die Mehrheit der Welt den dominierenden amerikanischen Lebensstil übernahm und den „plattesten Marktradikalismus als Heilsbringer Religion“ sah, huldigte Steneberg mit seinen Arbeiten diese beiden Himmelskörper, wie es Goethe, Klee und Delaunay vor ihm getan hatten und hoffentlich zukünftig noch viele weitere tun werden. (7)

Links: View on Frankfurt am Main, 2016
Rechts: Steneberg, Sonne und Mond, 1993

Fußnoten
(1) Mathias Mayer, Goethes Monde (Berlin: Insel Verlag, 2012), S. 7-8, 8.
(2) Schauplätze: Frankfurt in den 50er Jahren, Ausst. Kat. Frankfurt am Main: Institut für Stadtgeschichte. Karmeliter Kloster, S. 6.
(3) Ibid, S. 165.
(4) In den späten 1930er-Jahren suchten viele Künstler Zuflucht in den Vereinigten Staaten, wo sie an einer zweiten revolutionären Bewegung in der Moderne mitwirkten: eine Verschiebung des früheren künstlerischen Zentrums in Deutschland in die USA, insbesondere New York.
(5) Paul Klee. 50 Werke aus 50 Jahren, Ausst. Kat., Hamburg, Hamburger Kunsthalle, 1990, S. 81.
(6) Weiterführende Informationen über die Wahl Bonns finden sich in Vor 40 Jahren: Bonn oder Frankfurt. Der Streit um die Bundeshauptstadt. Dokumente, Photographien und Karikaturen aus dem Besitz des Stadtarchivs der Stadt Frankfurt am Main, Ausst. Kat. 16. Januar -31. März 1989, Kleine Schriften des Frankfurter Stadtarchivs 2 (Ausstellung und Beiheft: Ingrid Röschlau). Fotos der Originalrotunde befinden sich in: Heinz Schomann, Volker Rödel, Heike Kaiser, Denkmaltopographie (FFM: Societäts-Verlag, 1994 (2. Auflage), 1. Auflage 1986)
(7) Eberhard Steneberg, 'Robert Delaunay und die deutsche Malerei', Das Kunstwerk, Bd. 15, Nr. 4, 1961, 22-23.
(8) Thomas Wieczorek, Die verblödete Republik. Wie uns Medien, Wirtschaft und Politik für dumm verkaufen (München: Knaur, 2009), S. 24.

(Übersetzerin: Dr. Susanne H. Karau)

Zurück